Die vier kunstreichen Brüder (Grimm)
Kurze Zusammenfassung
Märchenwelt, unbestimmte Zeit. Ein armer Mann schickte seine vier Söhne fort, damit sie jeder ein Handwerk lernen. Sie verabredeten, sich nach vier Jahren wiederzutreffen. Der erste lernte meisterhaftes Stehlen, der zweite wurde Sterngucker und sah alles, der dritte Jäger mit perfekter Treffsicherheit, und der vierte beherrschte als Schneider eine magische Nadel, mit der er alles zusammennähen konnte.
Zurück beim Vater zeigten sie ihre Kunstfertigkeit anhand eines Vogelnestes: Der Sterngucker bestimmte exakt die Zahl der Eier, der Dieb nahm sie lautlos, und der Jäger zerstörte sie alle mit einem einzigen Schuss. Auf Bitten des Vaters fügte der Schneider sie unversehrt zusammen. Eines Tages entführte ein Drache die Königstochter. Der Sterngucker sah sie auf einem Meerfelsen, der Dieb rettete sie heimlich, und der Jäger tötete den Drachen. Dabei zerbrach zwar das Fluchtschiff, doch der Schneider rettete alle:
Der Schneider nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, nähte die Bretter mit ein paar großen Stichen in der Eile zusammen... dann nähte er auch diese so geschickt zusammen, daß in kurzer Zeit das Schiff wieder segelfertig war.
Zurück im Königreich beanspruchte jeder Bruder die gerettete Prinzessin. Da alle gleichermaßen beigetragen hatten, entschied der König, keinem die Tochter zu geben. Als Belohnung erhielt jeder ein halbes Königreich, und die Brüder lebten fortan zufrieden zusammen mit ihrem Vater.
Ausführliche Zusammenfassung
Die Einteilung in Kapitel ist redaktionell.
Die Brüder verlassen ihr Zuhause und erlernen Handwerke
Es war einmal ein armer Mann mit vier Söhnen. Da er nichts besaß, was er ihnen geben konnte, rief er sie eines Tages zu sich und erklärte ihnen, dass sie in die weite Welt hinausziehen müssten, um ein Handwerk zu erlernen und ihr Glück zu versuchen.
»Liebe Kinder, ihr müßt jetzt hinaus in die Welt, ich habe nichts, das ich euch geben könnte: macht euch auf und geht in die Fremde, lernt ein Handwerk und seht, wie ihr euch durchschlagt.«
Die vier Brüder nahmen Abschied von ihrem Vater und zogen gemeinsam los. Nach einiger Zeit kamen sie an einen Kreuzweg, der in vier verschiedene Richtungen führte. Dort beschlossen sie, sich zu trennen und in vier Jahren an derselben Stelle wieder zu treffen, um zu sehen, was jeder gelernt hatte.
Der älteste Bruder traf einen Mann, der ihn zum Dieb ausbildete. Er lernte, wie man unbemerkt Dinge nehmen kann, die sonst niemand erreichen könnte.
Der zweite Bruder wurde ein Sterngucker und erhielt von seinem Meister ein Fernrohr, mit dem er alles sehen konnte, was auf der Erde und am Himmel geschah.
Der dritte Bruder lernte bei einem Jäger und bekam eine Büchse, die niemals ihr Ziel verfehlte.
Der jüngste Bruder wurde ein Schneider, aber nicht von gewöhnlicher Art. Sein Meister lehrte ihn eine besondere Schneiderkunst und gab ihm eine wunderbare Nadel, mit der er alles zusammennähen konnte, egal wie weich oder hart es war, ohne dass eine Naht zu sehen war.
»Damit kannst du zusammen nähen, was dir vorkommt, es sei so weich wie ein Ei, oder so hart als Stahl: und es wird ganz zu einem Stück, daß keine Naht mehr zu sehen ist.«
Demonstration der Fertigkeiten und Probe des Vaters
Nach genau vier Jahren trafen sich die vier Brüder wie vereinbart am Kreuzweg wieder und kehrten gemeinsam zu ihrem Vater zurück. Der Vater freute sich sehr, seine Söhne wiederzusehen, und wollte ihre erlernten Fähigkeiten auf die Probe stellen.
Sie saßen gerade unter einem großen Baum, als der Vater den Sterngucker fragte, wie viele Eier im Buchfinkennest oben im Baumgipfel lägen. Der Sterngucker nahm sein Fernrohr, schaute hinauf und antwortete, dass es fünf Eier seien.
Daraufhin forderte der Vater den ältesten Sohn auf, die Eier zu holen, ohne dass der brütende Vogel gestört würde. Der Dieb kletterte geschickt hinauf und nahm dem Vogel unbemerkt alle fünf Eier unter dem Leib weg.
Der Vater legte die Eier auf den Tisch und bat den Jäger, alle fünf mit einem einzigen Schuss in der Mitte zu zerteilen. Der Jäger schoss und traf alle Eier genau, wie verlangt.
Schließlich sollte der Schneider die Eier und die darin befindlichen Vögelchen wieder so zusammennähen, dass ihnen der Schuss nicht schadete. Mit seiner wunderbaren Nadel nähte er alles perfekt zusammen. Der Dieb brachte die Eier zurück ins Nest, und nach einigen Tagen schlüpften die Jungen mit einem roten Streifen am Hals, wo der Schneider sie zusammengenäht hatte.
Der Vater lobte seine Söhne und sagte, dass er nicht entscheiden könne, wem von ihnen der Vorzug gebühre, da alle ihre Zeit gut genutzt und etwas Rechtschaffenes gelernt hätten.
Die Entführung der Königstochter durch einen Drachen
Nicht lange danach verbreitete sich die Nachricht, dass die Königstochter von einem Drachen entführt worden sei. Der König war voller Sorge und ließ verkünden, dass derjenige, der seine Tochter zurückbringe, sie zur Gemahlin nehmen dürfe.
Die vier Brüder sahen darin eine Gelegenheit, ihre Künste zu beweisen, und beschlossen, gemeinsam auszuziehen, um die Königstochter zu befreien. Der Sterngucker schaute durch sein Fernrohr und entdeckte sie auf einem Felsen im Meer, bewacht von einem Drachen, der in ihrem Schoß schlief.
Die Rettung der Königstochter
Die Brüder besorgten ein Schiff und fuhren zu dem Felsen. Als sie ankamen, sahen sie die Königstochter mit dem schlafenden Drachen. Der Jäger wollte nicht schießen, aus Angst, die Jungfrau zu verletzen.
Stattdessen schlich sich der Dieb heran und stahl die Königstochter so geschickt unter dem Drachen weg, dass dieser nichts bemerkte und weiterschlief. Voller Freude eilten sie mit ihr zum Schiff und stachen in See.
Als der Drache erwachte und die Königstochter vermisste, verfolgte er wütend das Schiff. Als er gerade über ihnen schwebte und sich herablassen wollte, zielte der Jäger mit seiner Büchse und schoss ihm mitten ins Herz.
Der tote Drache war jedoch so groß und schwer, dass er beim Herabfallen das Schiff zertrümmerte. Die Brüder und die Königstochter konnten sich auf einige Bretter retten und trieben auf dem Meer.
In dieser Not nahm der Schneider seine wunderbare Nadel, nähte die Bretter schnell zusammen und sammelte dann alle Teile des zertrümmerten Schiffes. Mit seiner Nadel fügte er auch diese so geschickt zusammen, dass das Schiff bald wieder seetüchtig war und sie glücklich heimfahren konnten.
Der Streit um die Königstochter und die Entscheidung des Königs
Als sie zurückkehrten, freute sich der König sehr, seine Tochter wiederzusehen. Er erklärte, dass einer der Brüder sie zur Gemahlin haben sollte, überließ ihnen aber die Entscheidung, wer es sein würde.
Daraufhin entstand ein heftiger Streit unter den Brüdern. Der Sterngucker behauptete, ohne ihn hätten sie die Königstochter nie gefunden. Der Dieb meinte, das Sehen allein hätte nichts genützt, wenn er sie nicht unter dem Drachen weggestohlen hätte. Der Jäger argumentierte, sie wären alle vom Drachen zerrissen worden, hätte er ihn nicht erschossen. Und der Schneider betonte, ohne seine Kunst wären sie alle ertrunken, als das Schiff zertrümmert wurde.
Der König fällte schließlich folgende Entscheidung: Da jeder der Brüder ein gleiches Recht habe, aber nicht jeder die Jungfrau bekommen könne, solle keiner von ihnen sie zur Frau nehmen. Stattdessen wolle er jedem zur Belohnung ein halbes Königreich geben.
»Jeder von euch hat ein gleiches Recht, und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben: aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Königreich geben.«
Diese Lösung gefiel den Brüdern, und sie sagten, es sei besser so, als wenn sie uneinig würden. So erhielt jeder ein halbes Königreich, und sie lebten mit ihrem Vater in Glückseligkeit, solange es Gott gefiel.