In der Strafkolonie (Kafka)
Kurze Inhaltsangabe
Eine Strafkolonie, vermutlich frühes 20. Jahrhundert. Ein ausländischer Besucher, der Forschungsreisende, wohnte skeptisch und distanziert einer Exekution bei.
Der Offizier führte ihm stolz einen komplizierten Hinrichtungsapparat vor, der vom alten Kommandanten erfunden worden war. Das Gerät schrieb mittels feiner Nadeln das Urteil auf die Haut des Gefangenen, bis dieser starb.
Die Hinrichtung dauerte zwölf Stunden, und der Offizier erklärte enthusiastisch: "Es geschieht ja nichts weiter, der Mann fängt bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden."
"Es geschieht ja nichts weiter, der Mann fängt bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden."
Der Reisende war entsetzt über das ungerechte Verfahren: Der Angeklagte kannte weder Urteil noch Anschuldigung. Als er seine Ablehnung deutlich machte, beschloss der Offizier, sich selbst hinzurichten. Während der grausamen Prozedur versagte die Maschine vollständig und tötete ihn rasch. Der Reisende verließ die Kolonie verstört.
Ausführliche Zusammenfassung
Die Einteilung in Abschnitte ist redaktionell.
Die Ankunft in der Strafkolonie und die Vorbereitungen zur Exekution
In einem abgelegenen, sandigen Tal einer Strafkolonie fand sich ein Forschungsreisender ein, der auf Einladung des Kommandanten einer Exekution beiwohnen sollte. Der Offizier, der die Hinrichtung durchführen würde, präsentierte dem Reisenden stolz den Hinrichtungsapparat, den er als eigentümlich bezeichnete.
"Es ist ein eigentümlicher Apparat", sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat.
Das Interesse an der Exekution schien in der Kolonie nicht besonders groß zu sein, denn außer dem Offizier, dem Reisenden, dem Verurteilten und einem Soldaten war niemand anwesend. Der Verurteilte, ein stumpfsinnig wirkender Mann mit verwahrlostem Äußeren, war in Ketten gelegt und wirkte dennoch seltsam ergeben.
Während der Offizier eifrig die letzten Vorbereitungen am Apparat traf, zeigte der Reisende wenig Interesse und ging hinter dem Verurteilten auf und ab. Der Offizier kletterte unter den Apparat und auf eine Leiter, um alle Teile zu überprüfen – Arbeiten, die eigentlich ein Maschinist hätte erledigen können. Nach Abschluss der Vorbereitungen lud der Offizier den Reisenden ein, sich zu setzen, und begann mit seinen Erklärungen.
Die Komponenten des Hinrichtungsapparats und ihre Funktionen
Der Offizier erklärte dem Reisenden, dass der Apparat aus drei Teilen besteht: dem unteren Teil, genannt das Bett, dem oberen Teil, genannt der Zeichner, und dem mittleren, schwebenden Teil, genannt die Egge. Der Reisende hörte nicht ganz aufmerksam zu, da die Hitze im schattenlosen Tal ihn beeinträchtigte. Umso bewundernswerter erschien ihm der Eifer des Offiziers, der trotz seiner schweren Uniform enthusiastisch den Apparat erklärte.
Während der Erklärungen bemerkte der Reisende, dass der Soldat und der Verurteilte kaum zuhörten. Der Soldat hielt die Kette des Verurteilten, stützte sich auf sein Gewehr und ließ den Kopf hängen. Der Verurteilte hingegen bemühte sich trotz der Sprachbarriere – der Offizier sprach Französisch, was weder der Soldat noch der Verurteilte verstanden – den Erklärungen zu folgen und richtete seinen Blick stets dorthin, wohin der Offizier zeigte.
Der Offizier erläuterte, dass auf dem Bett der Verurteilte bäuchlings und nackt festgeschnallt wird. Riemen an Händen, Füßen und am Hals halten ihn fest. Ein Filzstumpf wird in seinen Mund geschoben, um Schreien und das Zerbeißen der Zunge zu verhindern. Das Bett ist mit einer speziell präparierten Watteschicht bedeckt. Der Reisende begann, Interesse zu zeigen, und betrachtete den Apparat genauer. Er sah, dass Bett und Zeichner wie zwei dunkle Truhen aussahen, verbunden durch Messingstangen, zwischen denen an einem Stahlband die Egge schwebte.
Der Offizier fuhr fort und erklärte, dass sowohl das Bett als auch der Zeichner eigene elektrische Batterien haben. Sobald der Verurteilte festgeschnallt ist, beginnt das Bett zu zittern, während die Egge, in der Nadeln eggenartig angeordnet sind, das Urteil in den Körper des Verurteilten schreibt. Ein Zahnrad im Zeichner sei abgenutzt und kreische während des Betriebs, was die Kommunikation erschwere, aber Ersatzteile seien schwer zu beschaffen.
Der Ablauf der Exekution und die Rolle der Zeichnungen
Als der Reisende nach dem Urteil fragte, war der Offizier erstaunt, dass der Kommandant ihn nicht informiert hatte. Er erklärte, dass er selbst am besten qualifiziert sei, die Urteilsarten zu erläutern, da er die Handzeichnungen des früheren Kommandanten besitze. Der Offizier holte eine Ledermappe hervor und erklärte das Prinzip: Dem Verurteilten wird das Gebot, das er übertreten hat, mit der Egge auf den Leib geschrieben.
"Unser Urteil klingt nicht streng. Dem Verurteilten wird das Gebot, das er übertreten hat, mit der Egge auf den Leib geschrieben. Diesem Verurteilten zum Beispiel wird auf den Leib geschrieben werden: Ehre deinen Vorgesetzten!"
Der Reisende war überrascht zu erfahren, dass der Verurteilte sein eigenes Urteil nicht kannte. Der Offizier erklärte, dass es nutzlos wäre, es ihm zu verkünden, da er es auf seinem Leib erfahren würde. Noch erstaunlicher war für den Reisenden, dass der Verurteilte nicht einmal wusste, dass er verurteilt worden war und keine Gelegenheit zur Verteidigung hatte.
"Er kennt sein eigenes Urteil nicht? Nein", sagte der Offizier wieder, "es wäre nutzlos, es ihm zu verkünden. Er erfährt es ja auf seinem Leib."
Der Offizier zeigte dem Reisenden die Zeichnungen, die das Urteil darstellten. Es waren komplexe, labyrinthartige Linien, die das Papier bedeckten. Der Reisende konnte sie nicht entziffern, was den Offizier nicht überraschte. Er erklärte, dass die Schrift nicht einfach sein dürfe, da sie nicht sofort töten, sondern erst nach etwa zwölf Stunden. Um die sechste Stunde sei der Wendepunkt berechnet. Die eigentliche Schrift umzieht den Leib nur in einem schmalen Gürtel, während der Rest des Körpers für Verzierungen bestimmt ist.
Um die Funktionsweise zu demonstrieren, setzte der Offizier die Maschine in Gang. Er erklärte, dass die Egge zu schreiben beginnt und, wenn sie mit der ersten Anlage der Schrift auf dem Rücken des Mannes fertig ist, die Watteschicht den Körper langsam auf die Seite wälzt, um der Egge neuen Raum zu bieten. Die wundbeschriebenen Stellen legen sich auf die Watte, die das Blut stillt und die Haut für eine neue Vertiefung der Schrift vorbereitet.
Das fragwürdige Gerichtsverfahren ohne Verteidigung
Der Offizier erläuterte dem Reisenden das Gerichtsverfahren in der Strafkolonie. Er selbst sei trotz seiner Jugend zum Richter bestellt worden, da er dem früheren Kommandanten in allen Strafsachen zur Seite gestanden und den Apparat am besten kenne. Sein Grundsatz bei der Rechtsprechung sei eindeutig: Die Schuld ist immer zweifellos.
"Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos. Andere Gerichte können diesen Grundsatz nicht befolgen, denn sie sind vielköpfig und haben auch noch höhere Gerichte über sich."
Im konkreten Fall hatte ein Hauptmann am Morgen Anzeige erstattet, dass sein Diener, der vor seiner Tür schlafen sollte, den Dienst verschlafen hatte. Als der Hauptmann ihn mit der Reitpeitsche schlug, hatte der Diener seinen Vorgesetzten an den Beinen gepackt und gedroht, ihn zu fressen, wenn er die Peitsche nicht wegwerfe. Der Offizier hatte den Hauptmann angehört, das Urteil geschrieben und den Mann in Ketten legen lassen.
Der Offizier rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass eine Befragung des Verurteilten nur zu Verwirrung geführt hätte. Der Mann hätte gelogen und bei Widerlegung neue Lügen erfunden. Der Reisende war mit diesem Verfahren nicht einverstanden, sagte sich aber, dass es sich um eine Strafkolonie handelte, in der besondere Maßregeln notwendig waren. Außerdem setzte er Hoffnung auf den neuen Kommandanten, der offenbar ein neues Verfahren einführen wollte.
Der Offizier verteidigt leidenschaftlich das alte System
Der Offizier erkannte die Skepsis des Reisenden und nahm ihn beiseite, um mit ihm vertraulich zu sprechen. Er gestand, dass das Verfahren und die Hinrichtungsmethode in der Kolonie keine offenen Anhänger mehr hatten. Er selbst sei der einzige Vertreter und gleichzeitig der einzige Vertreter des Erbes des alten Kommandanten. Die Überzeugungskraft des alten Kommandanten habe er teilweise, aber dessen Macht fehle ihm gänzlich.
Mit Nostalgie beschrieb der Offizier, wie die Exekutionen früher abliefen: Das ganze Tal war von Menschen überfüllt, der Kommandant erschien mit seinen Damen, Fanfaren weckten den Lagerplatz, und die Gesellschaft ordnete sich um die Maschine. Der Verurteilte wurde vom Kommandanten selbst unter die Egge gelegt, und die Exekution begann ohne störende Misstöne. In der Stille hörte man nur das gedämpfte Seufzen des Verurteilten.
"Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten Gesicht, wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten und schon vergehenden Gerechtigkeit! Was für Zeiten, mein Kamerad!"
Der Offizier hatte in seiner Begeisterung vergessen, mit wem er sprach, und den Reisenden umarmt. Als er sich wieder fasste, erklärte er, dass er den Reisenden nicht rühren wollte. Er betonte, dass die Maschine noch immer für sich wirke, auch wenn sie allein im Tal stehe. Der Reisende wollte sein Gesicht abwenden und blickte ziellos herum, was der Offizier als Betrachtung der Öde des Tales missverstand.
Das Urteil des Reisenden und die Entscheidung des Offiziers
Der Offizier hatte die Einladung des Kommandanten an den Reisenden mitangehört und durchschaut. Er war überzeugt, dass der Kommandant den Reisenden als angesehenen Fremden nutzen wollte, um gegen das alte Verfahren vorzugehen. Der Offizier bat den Reisenden um Hilfe und schlug einen Plan vor: Der Reisende solle bei einer Sitzung am nächsten Tag seine Meinung über das Verfahren kundtun und es verteidigen.
"Soll wegen dieses Kommandanten und seiner Frauen, die ihn beeinflussen, ein solches Lebenswerk zugrunde gehen? Darf man das zulassen? Selbst wenn man nur als Fremder ein paar Tage auf unserer Insel ist?"
Der Reisende lehnte ab und erklärte, dass er ein Gegner dieses Verfahrens sei. Er würde seine Ansicht dem Kommandanten unter vier Augen mitteilen, aber nicht in einer öffentlichen Sitzung. Außerdem plane er, bereits am nächsten Morgen abzureisen. Der Offizier erkannte, dass er den Reisenden nicht überzeugen konnte, und traf eine folgenschwere Entscheidung.
Der Offizier als Verurteilter und das Versagen der Maschine
Der Offizier befreite den Verurteilten von seinen Fesseln und erklärte ihn für frei. Dann begann er, seine eigene Uniform auszuziehen und sich vollständig zu entkleiden. Er behandelte jedes Kleidungsstück sorgfältig, warf es dann aber mit einem unwilligen Ruck in die Grube. Zuletzt zerbrach er seinen Degen und warf auch diesen weg. Nackt trat er an die Maschine heran.
Der Reisende verstand, was geschehen würde, fühlte aber, dass er kein Recht hatte, den Offizier aufzuhalten. Der Offizier legte sich auf das Bett der Maschine, die sofort zu arbeiten begann. Er hatte eine neue Zeichnung in den Apparat eingesetzt, die der Reisende nicht lesen konnte. Der Offizier buchstabierte sie für ihn: "Sei gerecht!"
Der Verurteilte und der Soldat beobachteten fasziniert die Maschine. Sie schnallten den Offizier fest, obwohl dies nicht nötig war. Doch bald wurde klar, dass etwas nicht stimmte. Die Maschine arbeitete nicht wie sonst – sie war völlig still, kein Kreischen war zu hören. Plötzlich hob sich der Deckel des Zeichners, und Zahnräder begannen herauszufallen und im Sand zu rollen.
Die Egge schrieb nicht, sondern stach nur, und das Bett wälzte den Körper nicht, sondern hob ihn zitternd in die Nadeln. Der Reisende wollte eingreifen, aber es war zu spät. Die Egge hob sich mit dem aufgespießten Körper zur Seite, das Blut floss in hundert Strömen, und der Körper fiel nicht in die Grube. Als der Reisende das Gesicht der Leiche betrachtete, sah er keine Spur der versprochenen Erlösung – die Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen offen, und durch die Stirn ging die Spitze eines eisernen Stachels.
Das Teehaus und die hastige Abreise des Reisenden
Der Reisende verließ mit dem Soldaten und dem Verurteilten den Ort der Exekution und kam zu den ersten Häusern der Kolonie. Der Soldat zeigte auf ein Teehaus, in dem der alte Kommandant begraben war. Im Inneren saßen Hafenarbeiter, starke Männer mit schwarzen Vollbärten, in zerrissenen Hemden.
Sie zeigten dem Reisenden einen Grabstein unter einem Tisch, auf dem eine Prophezeiung stand, dass der alte Kommandant nach einer bestimmten Zeit auferstehen und seine Anhänger zur Wiedereroberung der Kolonie führen werde. Der Reisende verteilte einige Münzen und ging zum Hafen. Der Soldat und der Verurteilte folgten ihm, doch der Reisende hielt sie mit einem Tau davon ab, in sein Boot zu springen, und fuhr allein davon.
"Hier ruht der alte Kommandant. Seine Anhänger, die jetzt keinen Namen tragen dürfen, haben ihm das Grab gegraben und den Stein gesetzt. Es besteht eine Prophezeiung, daß der Kommandant nach einer bestimmten Anzahl von Jahren auferstehen wird."