Kalif Storch (Hauff)
Kurze Zusammenfassung
Bagdad, märchenhafte Vergangenheit. Der junge Kalif Chasid erwarb ein geheimnisvolles Pulver und einen Spruch, mit dem er sich in Tiere verwandeln konnte.
Gemeinsam mit seinem Berater Großwesir Mansor verwandelte er sich in einen Storch, um die Sprache der Tiere zu verstehen. Doch durch unerlaubtes Lachen vergaßen sie das Zauberwort und blieben Störche.
Als Störche entdeckten sie, dass Mizra, der Sohn des feindlichen Zauberers Kaschnur, inzwischen den Thron übernahm. Auf ihrer Reise begegneten sie einer verwandelten Prinzessin, die als Eule lebte und erzählte, wie Kaschnur sie ebenfalls verzaubert hatte. Die Prinzessin versprach, ihnen zu helfen, wenn einer von beiden sie heirate. Kalif Chasid willigte ein. Die drei belauschten den Zauberer und erfuhren das gesuchte Zauberwort:
“Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: ‘Mutabor!‘ riefen sie, im Nu waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen.”
Die Prinzessin verwandelte sich zurück und erwies sich als wunderschöne Dame. Gemeinsam kehrten sie nach Bagdad zurück. Der Zauberer wurde bestraft, Mizra ebenfalls in einen Storch verwandelt. Kalif Chasid und die Prinzessin heirateten und lebten glücklich und in Eintracht, nostalgisch begleitet von humorvollen Erinnerungen an ihr storchisches Abenteuer.
Detaillierte Zusammenfassung
Die Einteilung in Kapitel ist redaktionell.
Der Kalif und der magische Zauber
An einem heißen Nachmittag saß Kalif Chasid von Bagdad behaglich auf seinem Sofa, rauchte seine Pfeife und trank Kaffee. In dieser Stunde kam sein Großwesir Mansor zu Besuch, der ein nachdenkliches Gesicht machte. Er erzählte dem Kalifen von einem Krämer, der schöne Waren verkaufte.
Der Kalif ließ den Krämer holen, der allerhand Waren in seinem Kasten hatte. Während der Kalif und sein Wesir die Waren durchsahen, entdeckten sie eine kleine Schublade mit einer Dose schwarzen Pulvers und einem Papier mit seltsamer Schrift.
Um die Schrift zu entziffern, ließ der Kalif den Gelehrten Selim holen. Dieser erkannte, dass es sich um Lateinisch handelte, und übersetzte: Wer von dem Pulver schnupft und das Wort “mutabor” spricht, kann sich in ein Tier verwandeln und die Tiersprache verstehen. Um wieder Mensch zu werden, muss man sich dreimal nach Osten neigen und das Zauberwort wiederholen. Wichtig sei, während der Verwandlung nicht zu lachen, sonst vergesse man das Zauberwort.
“Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht lachest.”
Die Verwandlung in Störche und der Verlust des Zauberwortes
Am nächsten Morgen machten sich der Kalif und sein Großwesir auf den Weg, um das Zauberpulver auszuprobieren. Sie gingen zu einem Teich, wo sie Störche beobachten konnten. Nachdem sie sich vergewissert hatten, wie man wieder Mensch wird, nahmen beide eine Prise des Pulvers und riefen “mutabor”.
“Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln.”
Sie näherten sich zwei anderen Störchen und belauschten deren Gespräch. Eine junge Störchin übte gerade einen Tanz für die Gäste ihres Vaters. Ihre unbeholfenen Bewegungen waren so komisch, dass der Kalif und sein Wesir in lautes Gelächter ausbrachen. Dadurch verscheuchten sie die anderen Störche und vergaßen das Zauberwort, das sie wieder in Menschen verwandeln sollte.
Verzweifelt versuchten sie, sich an das Wort zu erinnern, doch es war vergeblich. Sie konnten weder in ihre menschliche Gestalt zurückkehren noch in die Stadt gehen, da niemand einem Storch glauben würde, dass er der Kalif sei. So irrten sie tagelang umher und ernährten sich von Feldfrüchten.
“Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht.”
Die Begegnung mit der Eulenprinzessin
Einige Tage später flogen sie über Bagdad und sahen, dass ein Mann namens Mizra, der Sohn des Zauberers Kaschnur, den Thron des Kalifen bestiegen hatte. Sie beschlossen, zum Grab des Propheten zu wandern, in der Hoffnung, dort den Zauber zu lösen.
Auf dem Weg dorthin übernachteten sie in einer Ruine. Plötzlich hörten sie Seufzer und Stöhnen. Der Kalif folgte den Geräuschen und fand in einem Gemach eine Nachteule, die zu seiner Überraschung Arabisch sprach. Sie begrüßte die Störche freudig und sagte, dass ihr prophezeit worden sei, durch Störche würde ihr Glück kommen.
Die Eule erzählte, dass sie eigentlich Prinzessin Lusa, die Tochter des Königs von Indien sei. Der Zauberer Kaschnur hatte um ihre Hand für seinen Sohn Mizra angehalten, wurde aber abgewiesen. Aus Rache verwandelte er sie in eine Eule, die nur bei Mondlicht sehen konnte.
“Einsam und traurig lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; denn ich bin blind am Tage.”
Die Enthüllung des Plans des Zauberers
Der Kalif erkannte einen Zusammenhang zwischen ihren Schicksalen, da beide vom selben Zauberer verwandelt worden waren. Die Prinzessin erzählte, dass Kaschnur jeden Monat in diese Ruinen käme, um mit seinen Gefährten zu schmausen und von seinen bösen Taten zu berichten.
Sie bot an, den Kalifen und seinen Wesir zu einem Saal zu führen, wo sie die Zauberer belauschen könnten. Vielleicht würde Kaschnur das vergessene Zauberwort aussprechen. Allerdings stellte sie eine Bedingung: Einer von ihnen müsse sie zur Frau nehmen, damit auch sie erlöst werden könne.
“O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten.”
Die Nacht in den Ruinen und die Entscheidung des Kalifen
Der Kalif und der Großwesir zogen sich zurück, um über die Bedingung zu beraten. Der Wesir wollte die Eule nicht heiraten, da er bereits verheiratet war und befürchtete, seine Frau würde ihm die Augen auskratzen. Der Kalif entschloss sich schließlich, die Bedingung selbst zu erfüllen.
In der Nacht führte die Eule sie zu einer Mauerlücke, durch die sie einen prächtigen Saal überblicken konnten. Dort saßen acht Männer an einem Tisch, unter ihnen der Krämer, der dem Kalifen das Zauberpulver verkauft hatte. Er erzählte gerade die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs.
Als ein anderer Zauberer fragte, welches Wort er ihnen aufgegeben habe, antwortete er: “Ein recht schweres lateinisches, es heißt mutabor.” Die Störche waren überglücklich, das Zauberwort wiedergefunden zu haben, und eilten zum Tor der Ruine.
Die Konfrontation mit dem Zauberer und die Rückverwandlung
Dort sprach der Kalif gerührt zu der Eule: “Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns getan, mich zum Gemahl an!” Dann wandten sich beide nach Osten, verneigten sich dreimal und riefen: “Mutabor!”
Sofort wurden sie wieder in Menschen verwandelt. Der Kalif war entzückt, als er sah, dass die ehemalige Eule zu einer wunderschönen jungen Dame geworden war. Die drei machten sich auf den Weg nach Bagdad.
“Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. ‘Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?‘ sagte sie. Sie war es.”
Der Kalif fand in seinen Kleidern nicht nur die Dose mit dem Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel. So konnten sie im nächsten Dorf das Nötigste für ihre Reise kaufen. Bald erreichten sie die Tore von Bagdad, wo die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen auslöste, da man ihn für tot gehalten hatte.
Die Rückkehr nach Bagdad und die Bestrafung der Usurpatoren
Das Volk war hocherfreut, seinen geliebten Herrscher wiederzuhaben, und ihr Hass gegen den Betrüger Mizra wuchs. Der Kalif ließ den Zauberer Kaschnur und seinen Sohn gefangen nehmen. Den alten Zauberer ließ er in demselben Gemach aufhängen, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte.
Dem Sohn, der nichts von den Künsten seines Vaters verstand, gab der Kalif die Wahl zwischen Tod und einer Prise aus der Zauberdose. Mizra wählte das Letztere und wurde durch das Zauberwort in einen Storch verwandelt. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten aufstellen.
Kalif Chasid lebte lange und glücklich mit seiner Frau, der Prinzessin. Seine vergnügtesten Stunden waren die, wenn ihn der Großwesir nachmittags besuchte. Dann ahmte der Kalif oft nach, wie der Wesir als Storch ausgesehen hatte – er ging mit steifen Beinen im Zimmer umher, klapperte und rief “Mu-Mu”. Für die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung stets eine große Freude.
“Er stieg dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich vergeblich nach Osten geneigt und Mu - Mu - dazu gerufen habe.”