Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen (Grimm)
Sehr kurzes Inhaltsverzeichnis
Ein Dorf in Deutschland, märchenhaftes Mittelalter. Der jüngste Sohn eines Mannes verstand nicht, was Angst und Gruseln bedeutete, daher wollte er es unbedingt lernen. Sein Vater hielt ihn für dumm und zu nichts tauglich, weil er nicht wie sein älterer Bruder klug und geschickt war.
Der Vater schickte ihn deshalb zum Küster ins Dorf, um das Gruseln zu lernen. Als ihm dort nachts eine weiße Gestalt begegnete, hielt er sie für einen Dieb und warf sie die Treppe hinab, ohne Angst zu empfinden. Weil er dabei versehentlich dem Küster ein Bein brach, schickte ihn der Vater mit fünfzig Talern fort in die Welt. Unterwegs zeigte ihm jemand einen Galgen: Auch unter den Gehängten fürchtete er sich nicht, sondern hatte Mitleid und wärmte sie am Feuer.
Er kam schließlich in ein Spukschloss, versprach dem König, drei Nächte darin zu verbringen. In den ersten zwei Nächten bezwang er furchtlos Katzen, Hunde, Geister, unheimliche Kegler und ein wildes fahrendes Bett. In der dritten Nacht berührte ihn auch ein Toter nicht mit Angst. Nach bestandener Prüfung durfte er die Tochter des Königs heiraten, wusste jedoch noch immer nicht, was Gruseln ist. Erst als seine Frau auf Rat ihres Mädchens nachts kaltes Wasser mit Fischen über ihn ausschüttete, fühlte er es endlich. Da wachte er auf und rief �22ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist�22.
Da wachte er auf und rief “ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist”.
Detaillierte Zusammenfassung
Die Einteilung in Kapitel ist redaktionell.
Der junge Mann, der das Gruseln nicht kennt
Ein Vater hatte zwei Söhne. Der älteste war klug und gescheit, während der jüngste als dumm galt und nichts begreifen oder lernen konnte. Die Leute sagten oft, dass der Vater mit ihm noch seine Last haben würde. Wenn es etwas zu erledigen gab, musste der älteste Sohn es tun. Doch wenn der Vater ihn spät abends oder nachts losschickte, besonders über den Kirchhof, antwortete dieser stets: “Ach, Vater, es gruselt mir!”
Der jüngste Sohn saß in der Ecke und hörte zu. Er verstand nicht, was das Gruseln bedeutete, und dachte, es müsse wohl eine Kunst sein, von der er nichts verstand.
“Ei, Vater, ich will gerne was lernen; ja, wenns angienge, so möchte ich lernen, daß mirs gruselte: davon verstehe ich noch gar nichts.”
Der älteste Bruder lachte und dachte, was für ein Dummkopf sein Bruder doch sei. Der Vater seufzte und meinte, dass er das Gruseln zwar lernen würde, aber damit kein Brot verdienen könne.
Der gescheiterte Versuch des Küsters
Bald darauf kam der Küster zu Besuch. Der Vater klagte ihm sein Leid und erzählte von seinem jüngsten Sohn, der nichts lernen wolle außer das Gruseln. Der Küster bot an, den Jungen zu sich zu nehmen und ihm das Gruseln beizubringen.
Der Vater war einverstanden. Der Küster ließ den Jungen bei sich wohnen und die Glocke läuten. Nach einigen Tagen weckte er ihn um Mitternacht und schickte ihn in den Kirchturm. Der Küster selbst eilte heimlich voraus und stellte sich als weiße Gestalt auf die Treppe, um den Jungen zu erschrecken.
Als der Junge die Gestalt sah, forderte er sie dreimal auf zu sprechen oder zu verschwinden. Als der Küster nicht reagierte, stieß der Junge ihn die Treppe hinunter, wobei sich der Küster ein Bein brach. Die Küsterfrau fand ihren verletzten Mann und eilte wütend zum Vater des Jungen.
Der Vater war entsetzt und schalt seinen Sohn. Der Junge verteidigte sich, er habe nicht gewusst, wer die Gestalt war. Der Vater wollte ihn nicht mehr sehen und gab ihm fünfzig Taler, damit er in die weite Welt ziehen und niemandem sagen sollte, woher er kam.
Das Abenteuer am Galgen
Am nächsten Tag machte sich der Junge mit seinen fünfzig Talern auf den Weg und wiederholte ständig: “Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!” Ein Mann hörte ihn und erzählte von einem Galgen, an dem sieben Gehängte im Wind baumelten. Wenn er die Nacht dort verbringe, würde er sicher das Gruseln lernen.
Der Junge willigte ein und versprach dem Mann seine fünfzig Taler, falls er tatsächlich das Gruseln lernen würde. Er setzte sich unter den Galgen und machte ein Feuer, um sich zu wärmen. Um Mitternacht wurde es so kalt, dass er Mitleid mit den Gehängten hatte. Er holte sie herunter und setzte sie rund um sein Feuer.
Als ihre Kleider Feuer fingen und die Toten sich nicht bewegten, wurde er böse und hängte sie wieder auf. Am nächsten Morgen kam der Mann zurück und fragte, ob er nun das Gruseln gelernt habe. Der Junge verneinte und behielt sein Geld.
Die Herausforderung im verwünschten Schloss
Der Junge zog weiter und wiederholte seinen Wunsch, das Gruseln zu lernen. Ein Fuhrmann nahm ihn mit zu einem Wirtshaus. Dort erzählte der Wirt von einem verwünschten Schloss, in dem jeder das Gruseln lernen könne, wenn er drei Nächte darin wache.
Der König hatte demjenigen, der es wagte, drei Nächte im Schloss zu wachen, seine Tochter zur Frau versprochen. Im Schloss lagen auch große Schätze, die von bösen Geistern bewacht wurden. Viele hatten es versucht, aber keiner war zurückgekehrt.
Am nächsten Morgen ging der Junge zum König und erklärte, dass er im verwünschten Schloss wachen wolle. Der König erlaubte ihm, drei leblose Dinge mitzunehmen. Der Junge wählte ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit Messer.
Die erste Nacht mit schwarzen Katzen und Hunden
Als es Nacht wurde, ging der Junge ins Schloss, machte ein Feuer in einer Kammer und setzte sich auf die Drehbank. Um Mitternacht hörte er plötzlich Stimmen aus einer Ecke: “Au, miau! Was uns friert!” Er lud die Stimmen ein, sich am Feuer zu wärmen.
Zwei große schwarze Katzen sprangen herbei und setzten sich neben ihn. Sie schlugen vor, Karten zu spielen. Der Junge stimmte zu, wollte aber zuerst ihre Pfoten sehen. Als sie ihre Krallen zeigten, packte er sie, schraubte ihre Pfoten auf der Schnitzbank fest und tötete sie.
Danach erschienen viele schwarze Katzen und Hunde mit glühenden Ketten. Sie traten auf sein Feuer und versuchten, es zu löschen. Der Junge schlug mit seinem Messer auf sie ein, tötete einige und warf sie in den Teich. Als er zurückkam, blies er sein Feuer wieder an.
Später wurde er müde und sah ein großes Bett in der Ecke. Er legte sich hinein, doch das Bett begann von selbst durch das ganze Schloss zu fahren. Schließlich warf es um und lag wie ein Berg auf ihm. Der Junge warf die Decken und Kissen ab, stieg heraus und schlief am Feuer bis zum Morgen.
“Es ist doch Schade um den schönen Menschen.” Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach “so weit ists noch nicht!” Da verwunderte sich der König, freute sich aber...
Als der König am Morgen kam und ihn auf dem Boden liegen sah, dachte er, die Gespenster hätten ihn getötet. Doch der Junge stand auf und sagte, es sei ihm gut gegangen. Der König war erstaunt und erfreut, und der Junge bereitete sich auf die zweite Nacht vor.
Die zweite Nacht mit dem halben Menschen und dem Kegelspiel
In der zweiten Nacht setzte sich der Junge wieder ans Feuer und begann sein altes Lied: “Wenn mir's nur gruselte!” Um Mitternacht hörte er Lärm und Gepolter. Nach einer kurzen Stille fiel ein halber Mensch durch den Schornstein. Der Junge bemerkte, dass noch ein halber fehlte.
Bald darauf fiel die andere Hälfte herab. Die beiden Teile fuhren zusammen, und ein hässlicher Mann saß auf dem Platz des Jungen. Der Junge bestand darauf, dass die Bank ihm gehöre, und schob den Mann mit Gewalt weg.
Dann kamen mehr Männer mit neun Totenbeinen und zwei Totenköpfen. Sie stellten die Knochen auf und begannen Kegel zu spielen. Der Junge fragte, ob er mitspielen dürfe. Sie erlaubten es, wenn er Geld einsetzte. Er bemerkte, dass ihre Kugeln nicht rund waren, und drehte die Totenköpfe auf seiner Drehbank rund.
Er spielte mit und verlor etwas Geld. Als es zwölf Uhr schlug, verschwand alles vor seinen Augen. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am nächsten Morgen kam der König wieder und fragte, wie es ihm ergangen sei. Der Junge antwortete, er habe gekegelt und ein paar Heller verloren, aber das Gruseln nicht gelernt.
Die dritte Nacht mit dem Toten im Sarg und dem alten Mann
In der dritten Nacht setzte sich der Junge wieder auf seine Bank und sagte verdrießlich: “Wenn es mir nur gruselte!” Spät in der Nacht kamen sechs große Männer mit einem Sarg. Der Junge dachte, es sei sein kürzlich verstorbener Vetter, und begrüßte ihn.
Die Männer stellten den Sarg auf den Boden. Der Junge öffnete den Deckel und sah einen toten Mann darin. Er fühlte sein Gesicht, das kalt wie Eis war. Er versuchte, ihn am Feuer zu wärmen, aber der Tote blieb kalt. Dann nahm er ihn heraus, setzte ihn ans Feuer und rieb seine Arme, um das Blut in Bewegung zu bringen.
“Wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich”, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen.
Als der Tote warm wurde, begann er sich zu bewegen und rief: “Jetzt will ich dich erwürgen!” Der Junge wurde wütend, warf ihn zurück in den Sarg und schloss den Deckel. Die sechs Männer kamen und trugen den Sarg wieder fort.
Dann trat ein alter Mann mit langem weißen Bart ein, der fürchterlich aussah. Er drohte dem Jungen mit dem Tod. Der Junge antwortete furchtlos, und der Alte forderte ihn zu einem Kräftemessen heraus.
Der Alte führte ihn zu einem Schmiedefeuer und schlug einen Amboss mit einem Schlag in die Erde. Der Junge sagte, er könne es besser, und als der Alte zusah, spaltete der Junge den anderen Amboss und klemmte den Bart des Alten darin ein. Dann schlug er mit einer Eisenstange auf ihn ein, bis der Alte um Gnade bat und große Reichtümer versprach.
Der Junge ließ ihn frei, und der Alte führte ihn zurück ins Schloss. Dort zeigte er ihm in einem Keller drei Kisten voll Gold: eine für die Armen, eine für den König und eine für den Jungen selbst. Als es zwölf schlug, verschwand der Geist, und der Junge blieb im Dunkeln zurück. Er fand seinen Weg zurück in die Kammer und schlief bei seinem Feuer ein.
Hochzeit und das endlich gelernte Gruseln
Am nächsten Morgen kam der König und fragte: “Nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?” Der Junge verneinte erneut. Der König erklärte, dass er das Schloss erlöst habe und nun seine Tochter heiraten solle.
“Du hast das Schloß erlöst, und sollst meine Tochter heirathen.” “Das ist all recht gut”, antwortete er, “aber ich weiß immer noch nicht, was Gruseln ist.”
Das Gold wurde aus dem Keller geholt, und die Hochzeit wurde gefeiert. Obwohl der junge König seine Gemahlin liebte und glücklich war, sagte er immer noch: “Wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte.” Das verdross seine Frau schließlich.
Ihr Kammermädchen riet ihr, wie sie helfen könne. In der Nacht, als der junge König schlief, zog seine Gemahlin ihm die Decke weg und schüttete einen Eimer voll kaltes Wasser mit kleinen Fischen über ihn. Die Fische zappelten auf ihm herum, und er wachte auf und rief: “Ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist.”