Rumpelstilzchen (Grimm)
Die Gliederung in Abschnitte ist redaktionell.
Der Müller prahlt vor dem König
Es war einmal ein armer Müller, der eine schöne Tochter hatte. Als er eines Tages mit dem König sprach, wollte er sich wichtig machen und behauptete, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen. Der König, beeindruckt von dieser angeblichen Fähigkeit, befahl dem Müller, seine Tochter am nächsten Tag ins Schloss zu bringen, um ihre Kunst zu beweisen.
Die erste Nacht: Gold für ein Halsband
Als die Müllerstochter ins Schloss kam, führte der König sie in eine Kammer voller Stroh. Er gab ihr ein Spinnrad und befahl ihr, bis zum Morgen das gesamte Stroh zu Gold zu spinnen, andernfalls müsse sie sterben. Allein gelassen, wusste die junge Frau keinen Rat. Sie verstand nichts vom Goldspinnen und begann verzweifelt zu weinen.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein kleines Männchen trat ein. Es fragte, warum sie weine, und als es von ihrer Not erfuhr, bot es ihr Hilfe an. Für ihr Halsband würde es das Stroh zu Gold spinnen. Die Müllerstochter willigte ein, und das Männchen machte sich an die Arbeit. Schnell füllten sich die Spulen mit Gold, und bis zum Morgen war alles Stroh versponnen.
Die zweite Nacht: Gold für einen Ring
Bei Sonnenaufgang kam der König und staunte über das viele Gold. Doch seine Gier war noch nicht gestillt. Er brachte die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voller Stroh und verlangte erneut, dass sie es über Nacht zu Gold spinne, wenn ihr Leben ihr lieb sei.
“Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?” “Meinen Ring von dem Finger” antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring, fieng wieder an zu schnurren mit dem Rade und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu Gold gesponnen.
Die dritte Nacht: Gold für das erstgeborene Kind
Der König freute sich über das neue Gold, war aber immer noch nicht zufrieden. Er brachte die Müllerstochter in eine noch größere Kammer und erklärte: Wenn sie auch dieses Stroh zu Gold spinnen könne, würde er sie zur Frau nehmen. Er dachte, eine reichere Frau könne er nicht finden, selbst wenn sie nur eine Müllerstochter sei.
Als das Mädchen wieder allein war, erschien das Männchen zum dritten Mal. Diesmal hatte sie nichts mehr zu geben, und das Männchen verlangte ihr erstgeborenes Kind als Königin. In ihrer Not willigte die Müllerstochter ein, und das Männchen spann erneut das Stroh zu Gold.
“Was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?” “Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte”. “So versprich mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind.” “Wer weiß, wie das noch geht” dachte die Müllerstochter.
Die Königin muss ihr Versprechen einlösen
Am nächsten Morgen fand der König alles wie gewünscht vor und hielt sein Versprechen. Er heiratete die schöne Müllerstochter, die nun Königin wurde. Nach einem Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und hatte das Männchen längst vergessen.
Doch plötzlich erschien das Männchen in ihrer Kammer und forderte das Kind ein. Die Königin erschrak und bot ihm alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen würde. Aber das Männchen lehnte ab und sagte, ein lebendes Wesen sei ihm lieber als alle Schätze der Welt.
Die Suche nach dem Namen des Männchens
Als die Königin zu jammern und weinen begann, hatte das Männchen Mitleid mit ihr. Es gab ihr drei Tage Zeit, seinen Namen zu erraten. Wenn sie es schaffen würde, dürfte sie ihr Kind behalten. Die Königin dachte die ganze Nacht über alle Namen nach, die sie je gehört hatte, und schickte einen Boten aus, um nach weiteren Namen zu suchen.
Am ersten Tag nannte die Königin dem Männchen Namen wie Caspar, Melchior und Balzer, aber bei jedem sagte es: "So heiß ich nicht." Am zweiten Tag versuchte sie es mit ungewöhnlichen Namen wie Rippenbiest, Hammelswade und Schnürbein, doch ohne Erfolg.
“Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut ist, daß niemand weiß,
daß ich Rumpelstilzchen heiß!”
Am dritten Tag kehrte der Bote zurück und berichtete, dass er keine neuen Namen gefunden habe. Doch als er an einem Berg vorbeikam, sah er ein kleines Haus mit einem Feuer davor. Um das Feuer sprang ein lächerliches Männchen auf einem Bein und sang ein Lied, in dem es seinen Namen verriet: Rumpelstilzchen.
Rumpelstilzchens Ende
Die Königin war überglücklich, als sie den Namen erfuhr. Als das Männchen später zu ihr kam und fragte: "Nun, Frau Königin, wie heiß ich?", antwortete sie zunächst mit falschen Namen: "Heißest du Kunz?" - "Nein." - "Heißest du Heinz?" - "Nein."
Dann fragte sie: "Heißest du etwa Rumpelstilzchen?" Das Männchen schrie vor Zorn: "Das hat dir der Teufel gesagt!" Es stampfte so heftig mit dem rechten Fuß auf die Erde, dass es bis zum Leib hineinfuhr. In seiner Wut packte es seinen linken Fuß und riss sich selbst mitten entzwei.
“Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt” schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so heftig auf die Erde, daß er bis an den Leib hinein fuhr, dann packte es in seiner Wuth den linken Fuß und riß sich selbst mitten entzwei.